12. November 2021 | Gottes leidige Sekretariate
Autor: Jan-Heiner Tück
Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv
Der Skandal von Missbrauch und systemischer Vertuschung hat die katholische Kirche in eine massive Glaubwürdigkeitskrise hineingerissen. Die Vorgänge sind dringender Anlass zu lückenloser Aufarbeitung, zur Verbesserung der Prävention, zu einer entschiedenen Abkehr vom Täter- zum Opferschutz, zur Neujustierung des kirchlichen Strafrechts, zur Übernahme juristischer und moralischer Verantwortung. Die Reformforderungen auf dem Synodalen Weg gehen über das Thema der Missbrauchsbekämpfung allerdings weit hinaus. Sie visieren letztlich eine andere Gestalt von Kirche an, die Rückfragen aufwirft.
Zur Selbstverständlichkeit wurde, dass nichts, was die katholische Kirche in Deutschland betrifft, mehr selbstverständlich ist. In ihr bröckelt das ekklesiologische Selbstverständnis, wenn die bischöfliche Verfassung der Kirche, die noch das II. Vatikanische Konzil als konstitutiv festgeschrieben hat (vergleiche den Schlüsseltext Lumen gentium, 20: "ex divina institutione"), geschwächt wird. Die Satzung des Synodalen Wegs, die von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken gemeinsam ausgearbeitet wurde, misst Bischöfen und Laien "gleiches Stimmrecht" zu (Art. 3, Abs. 2). Walter Kasper hat diese paritätische Besetzung als "Geburtsfehler" bezeichnet. Die Satzung des Synodalen Weges hat keinen kanonischen Status, dennoch soll sie verbindliche Beschlüsse hervorbringen. Diese Quadratur des Kreises kann nur gelingen, wenn die Bischöfe den Beschlussvorlagen der Synodalversammlung zustimmen. Der Vorbehalt, dass die Schlussabstimmung über die Dokumente der Zwei-Drittel-Mehrheit der Bischöfe bedarf (Art. 11, Abs. 2), zieht der Synodalversammlung zwar eine Grenze. Dennoch steht die Halbierung der episkopalen Leitungskompetenz in Spannung zum "Geist der Leitung", der jedem zu weihenden Bischof im Ordinationsgebet seit ältester Zeit verliehen wird.
Gewaltenteilung ist keine Heilsidee
Missbrauch und systemische Vertuschung motivieren Reflexionen über "Macht und Gewaltenteilung in der Kirche". Um Machtmissbrauch durch Kleriker künftig zu verhindern, werden mehr Transparenz und effektive Kontrolle gefordert. Zurecht! Das kann durch verwaltungsrechtliche Reformen realisiert werden. Darüber hinaus aber soll die Struktur der katholischen Kirche den Standards der demokratischen Rechtskultur angeglichen und die Partizipation aller Gläubigen an der Leitung der Kirche gefördert werden. Fraglich ist allerdings, ob sich das Prinzip der Gewaltenteilung, Maßstab im politischen Raum, eins zu eins auf die hierarchische Verfassung der katholischen Kirche übertragen lässt. Gewiss, die Kirche hat nach einem langen Lernprozess die Demokratie anerkannt. Das ist zu begrüßen! Daraus folgt aber nicht, dass sie ihre eigene Verfassung demokratisieren und vom Prinzip der Volkssouveränität her neu aufgleisen beziehungsweise den Unterschied zwischen gemeinsamem und besonderem Priestertum (Lumen gentium, 12) einebnen müsste.
Die Forderung nach Gewaltenteilung setzt ja voraus, dass sich politische Ordnungsmuster kirchenrechtlich implementieren lassen. Lässt sich aber die wechselseitige Begrenzung von Legislative, Exekutive und Judikative problemlos auf das Bischofsamt anwenden? Das II. Vatikanum hat gerade die Untrennbarkeit von Weihe- und Hirtengewalt gelehrt. Die historische Praxis, dass Fürstbischöfe die Kirche regieren, während Weihbischöfe die geistlichen Dienste übernehmen, sollte ein für alle mal unterbunden werden. Bei der sakramentalen Ordination wird die sacra potestas (vgl. Lumen gentium 10,2; 18,1; 27,1 sowie das Dekret Presbyterorum ordinis 2,2) übertragen, die Weihe- (potestas ordinis) und Hirtengewalt (potestas iurisdictionis) gleichermaßen umfasst. Natürlich kennt das Kirchenrecht vikarielle Formen der Mitverantwortung an der Leitung der Ortskirche wie das Amt des Generalvikars, dem als alter ego des Bischofs die Verwaltung der Diözese obliegt. Auch ist die Kompetenz von Laien in Pastoral und Bildung, im Finanz- und Bauwesen hochwillkommen. Die Letztverantwortung für die Diözesanleitung aber wird nicht geteilt. Sie liegt beim Bischof, der als Person die Einheit der Ortskirche vertritt.
Die Stunde der Gremienspezialisten
Die Forderung nach tiefgreifenden Veränderungen im Machtgefüge der katholischen Kirche hat bei der Synodalversammlung Anfang Oktober in Frankfurt klarere Konturen erhalten. Es soll ein dauerhafter "Synodaler Rat mit geschlechter- und generationengerechter Besetzung" geschaffen werden, der von einer Doppelspitze - einem Bischof und einem Laien - geleitet wird. Das Anliegen, den Synodalen Weg institutionell zu verstetigen und mit einem ständigen Sekretariat auszustatten, provoziert Rückfragen: Zunächst bläht es den kirchlichen Apparat weiter auf und verschlingt beträchtliche Finanzmittel bei sinkenden Kirchensteuereinnahmen. Sodann schmälert ein Synodaler Rat als oberstes nationales Leitungsgremium die Bedeutung der Bischofskonferenz, die als vermittelnde Größe zwischen den Ortskirchen und der Universalkirche nach Papst Franziskus gerade gestärkt werden sollte. Weiter geraten die Bischöfe als Mitglieder des Bischofskollegiums der Gesamtkirche in schwere Konfliktlagen, wenn der Synodale Rat eine Art Gegenlehramt auftritt, das gezielt von universalkirchlichen Vorgaben abweicht.
Schließlich kommt das Konstrukt eines Leitungsorgans, das paritätisch aus Bischöfen und Laien besetzt sein soll, einem kühnen Umbau der Kirchenverfassung gleich. Nach welchen Kriterien wird Laien quasi bischöfliche Leitungsautorität übertragen? Wer trifft die Auswahl, wer in ein solches, nach geschlechter- und generationengerechten Parametern besetztes Mischgremium berufen wird? Was ist die theologische Legitimität? Bestünde nicht die Gefahr, dass rhetorisch versierte und medial gut vernetzte Gremienspezialisten den Synodalen Rat auf ihre Weise dominieren?
Ratzingers Frühdiagnose
Joseph Ratzinger hat zu ähnlichen Ideen bereits 1970 festgehalten: "Die Idee der gemischten Synode als einer ständigen obersten Regierungsbehörde der nationalen Kirchen ist von der Überlieferung der Kirche wie von ihrer sakramentalen Struktur und von ihrem spezifischen Ziel her eine chimärische Idee. Einer solchen Synode würde jede Legitimität fehlen und ihr müsste daher der Gehorsam entschieden und eindeutig versagt werden. Sie beruht sachlich auf einer schlechterdings unzulässigen Trennung von Weihe- und Hirtengewalt, bei der die eine ins Magische, die andere ins Profane abgedrängt wird." Ein solcher Umbau der Kirchenverfassung würde ökumenisch eine Annäherung an synodale Verfahren im modernen Protestantismus bedeuten, zugleich aber Distanzsignale im Blick auf die bischöflich verfassten Kirchen des Ostens setzen.
Was ist von dem Votum zu halten, dass künftig "kirchliche Entscheidungsträger zu wählen sind und sich regelmäßig Wahlen stellen sollten, in den die ihnen eingeräumte Befugnisse bestätigt oder an andere übertragen werden können"? Nach geltendem Kirchenrecht können Bischöfe nicht abgewählt werden, sondern allenfalls selbst ihren Rücktritt anbieten (c. 401 Codex Iuris Canonici) oder nach disziplinarrechtlichen Verfehlungen vom Papst abgesetzt werden. Das bischöfliche Amtsverständnis lässt sich nicht in Formen parlamentarischer Delegation einfangen. Das bedeutet nicht, dass ortskirchliche Instanzen bei der Findung geeigneter Bischofskandidaten übergangen werden sollten. Im Gegenteil! Um Fehlbesetzungen zu vermeiden, ist das Votum der Ortskirche unbedingt zu hören. Aber da keine Ortskirche in sich steht, sondern Teil der Universalkirche ist, ist es sinnvoll, dass der Papst in Abstimmung mit der römischen Bischofskongregation ernennt.
Die Halbierung des Reformbegriffs auf Macht- und Strukturfragen hätte beim Synodalen Weg leicht vermieden werden können. Statt ein zusätzliches Synodalforum dem Thema "Evangelisierung" zu widmen und kreative Maßnahmen gegen die anhaltende Versteppung des Glaubens anzudenken, blieb man bei Struktur- und Machtfragen sowie einer Neujustierung der kirchlichen Sexualethik. Theologie und ihre Quellen von Schrift und Tradition traten zurück zugunsten von Soziologie und Humanwissenschaften.
Eine Schwächung der episkopalen Verfassung durch einen Synodalen Rat, der die Bischöfe zu Gefangenen synodaler Mehrheitsvoten machen könnte, wird kaum die Lösung sein. Die evangelische Kirche, die alle Forderungen der altbekannten Reformagenda umgesetzt hat, ist nicht minder mit Erosionsprozessen konfrontiert.
Der Autor lehrt katholische Theologie an der Universität Wien.
Quelle: F.A.Z.
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