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13. Januar 2022 | Frau und Kirche - eine unlösbare Spannung?

Anregungen in einem Minenfeld | Download Dokument


Autor: Prof. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz
Quelle:
Bislang unveröffentlicht
Mitten im Streit

 Spannungsfelder sind Anzeichen für Leben, vor allem gefährdetes Leben, das eine Lösung aus tieferen als bisherigen Zusammenhängen braucht. Seit Jahrzehnten, in meiner eigenen Erinnerung seit der Feministischen Theologie der 1970er Jahre und zeitgleich zur Würzburger Synode, gibt es Glutnester im Raum der katholischen Kirche, die jüngst wieder aufgeflammt sind. Sie haben zwischenzeitlich einige Antworten erfahren, aber die Grundfrage, nämlich nach der gleichberechtigten = egalitären Mitwirkung von Frauen in kirchlichen Ämtern, ist nicht beantwortet. Genauer: Die Antwort wurde für viele abgestufte Mitwirkungen gegeben, aber in der Frage des sakramentalen Priestertums ausschließend formuliert.

Zunächst ist einzuräumen: Die Jahre nach dem Konzil haben mehr Arbeitsfelder für Frauen in der Kirche geschaffen als für alle Generationen zuvor. Hinausgewachsen über die klassische „Glaubensbotin für die eigene Familie“ arbeitet die heutige Christin in der Pastoral der Gemeinde, leitet Kommunion- und Firmgruppen, übernimmt Seelsorge, auch als Beruf. Ein zweites Novum: Die erste Frauengeneration der Kirche überhaupt hat das Theologiestudium ergriffen und besetzt in wachsendem Maße die Lehrstühle. Aber es gibt noch ein Drittes, die Supernova: Frauen sind erstmals auch in der Liturgie tätig, als Kommunionhelferin, Lektorin, Ministrantin, zuweilen wochentags als Predigerin, sonntags als Leiterin des Wortgottesdienstes. Von Südamerika kennt man die Beispiele von Ordensfrauen, die in bischöflichem Auftrag eine Pfarrei leiten. Freilich sind sie nicht Priester, aber es bedarf schon des aufmerksamen Blicks, um den Unterschied zwischen einem Wortgottesdienst mit Predigt und Kommunionfeier und einem „ganzen“ Gottesdienst auszumachen.

Dieser Zuwachs an Möglichkeiten für die Christinnen ist geschichtlich gesehen ungeheuer, zumal er sich in einer einzigen Generation in wenigen Jahren nach dem Konzil vollzog. Hinzukommt die Theologie des Charismas, der frei von Gott verliehenen Gaben, etwa wie - das größte Beispiel - die Mutter Jesu in dieser freien Gnade stand. Hier zeigt sich eine göttliche Erwählung, die sich an den großen, aber auch den unbekannten Frauen der Kirchengeschichte vielfältig, immer wachsend und bezaubernd, eben charismatisch, einlöst. Diese Geistbegabung, der unmittelbare Sauerteig, der das unmittelbare Leben durchdringt, ist das Entscheidende. „Maria - eine Frau - ist wichtiger als die Bischöfe. (…) man darf Funktion und Würde nicht verwechseln“, so Papst Franziskus im Oktober 2014, wobei er – wie die Tradition – das Priestertum der Frau ausschloss.

Im Wandern auf diesem Weg ist entscheidend, die Mitwirkung von Frauen auf allen kirchlichen Ebenen zu stärken, ja institutionell zu verankern: in der Diözesanverwaltung, den dortigen Gremien, den kirchenrechtlichen Schiedsstellen, auf den theologischen Lehrstühlen und in der Forschung, aber auch in der Leitung von Exerzitien, in der geistlichen Leitung der Frauenbünde - ein breites Aufgabenbündel bis in die vatikanischen Kongregationen hinein; letztlich: Beratung von Bischöfen, Mitsprache bei Konzilien und anderen hochrangigen kirchlichen Ereignissen.[1] Es könnte ein Frauenrat gebildet werden, der den Papst regelmäßig berät, wie das auch andere Gruppen tun. Zu denken ist bei den letzten Punkten an geistlich geprägte Frauen in Orden oder Säkularinstituten, Äbtissinnen, Oberinnen und ähnliche Leiterinnen. Ein Theologiestudium oder auch Taufe und Firmung prädestinieren nicht einfachhin für eine Mitsprache in der geistlichen Führung der Kirche, es bedarf dazu vielmehr eines Lebens in ständigem Gebet und in christlichem „ordo“, welcher Gestalt immer. Die Mitwirkung solcher geistlichen Frauen darf weder als „Notnagel“ noch als „Konkurrenz“ zu geistlichen Männern wahrgenommen werden.

Aber in der Mitte der Glutnester steht ungelöst die Frage nach dem besonderen Priestertum der Frau. Denn das allgemeine königliche Priestertum teilen alle Getauften und Gefirmten - ohne dass dies wirklich im allgemeinen Bewusstsein stünde.

Dieser Beitrag will die Frage nach der weiblichen Stellung in der Kirche und genauer sogar: der weiblichen Stellung der Kirche umkreisen und vielleicht - vielleicht - eine Lösung in der Ferne erkennen lassen, aber auch eine bleibende Asymmetrie. Denn sie verdient, da gut vergessen, gut verdrängt, eine Beleuchtung.

ahaba: Grenzerfahrung zwischen Leben und Tod.

Kleiner Umweg zum Thema

 Die Argumente für und gegen einen Weiheakt für Frauen sind ausgetauscht[2]; sie sind hier nicht ermüdend zu wiederholen. Bleibender Grund ist jedenfalls die von keiner Seite bestrittene geschichtliche Tatsache, dass Jesus selbst durchgängig „die Zwölf“ ausgewählt und in die Wahrung seiner Kirche berufen hat. Wahrung bedeutet Spendung der Sakramente, erstrangig der Eucharistie und der Lossprechung oder Bindung von Schuld: beides die allerersten Früchte von Jesu Leiden zwischen Gründonnerstag und Osterabend. Beide Aufträge werden übrigens im selben Raum überantwortet, in dem Saal auf dem Zion.

Für heutige Ausweitungen der Sakramentenspendung durch Frauen sprechen zweifellos geschichtliche, rationale und in der christlichen Selbstauslegung begründbare Gedanken, begründbar in der - eben im Christentum entfalteten - gleichen Personalität von Mann und Frau. Dennoch sei hier ein anderer Gedanke ins Bewusstsein gerückt. Er hat seine Wurzel im Alten Testament und zeigt seine entfaltete Frucht in der Apokalypse. Er intoniert ein großes Thema - das Thema der agape oder hebräisch ahaba[3], der Liebe. Das deutsche Wort Liebe enthält den Wortstamm Leben und Leib, unterteilt aber nicht in Eros und Agape, hebräisch dodim und ahaba - also in die leib- und triebhaft verankerte, irdische Liebe und die geistige, himmlische Leidenschaft (welche den Trieb mitzieht und übertrifft).

Urdokument einer solchen Leidenschaft ist das Hohelied im AT. Darin fallen zwei Ausdrücke für Liebe: dodim für das spielerische, erotische Begehren, das noch ungezielt das andere Geschlecht meint, oft im selben Atemzug mit Wein und Früchten, und ahaba für die eine Einzige, den einen, ausschließlich Geliebten. Während dodim (hörbar ein Pluralwort mit der Endung -im) das rauschhaft-ekstatische Hingerissensein zum anderen Geschlecht meint, bedeutet ahaba (im Singular) die Lebenssteigerung, die bis zur Selbstaufgabe an ein bestimmtes Gegenüber geschehen kann. Ahaba ist der Wechsel aus dem Plural der Liebeleien in den Singular der Liebe. „Sechzig Frauen und achtzig Nebenfrauen hatte Salomon und Mädchen ohne Zahl, aber nur eine ist meine, die eine Taube, die Makellose.“ (Hld 6,8-9) Zwingende Gewalt: Der Singular zerstört den Plural, ahaba zerstört dodim.

Ahaba läuft dem nach, den „einzig meine Seele liebt“. Diese Liebe geht an die Grenze des Missverständnisses, ja sie geht in die Verworfenheit der nächtlichen Gassen, um den Geliebten zu suchen. Sie ist jene Hingabe, die bis zur Preisgabe bereit ist, sich auszuliefern, denn die umherirrende junge Frau lässt sich von den Wächtern den Mantel herunterreißen und schlagen. Nun ist verschwunden, was Wein und Früchte, Gesang, In-Dienst-Nehmen des Eros für die eigene leichtherzige Steigerung bedeutet. Nunmehr ist Eros in der Gestalt des Todes da, während er vorher in der Gestalt des Rausches da war. Letzte Form und Steigerung der Liebe ist, dass solche Liebe an den Tod grenzt, ja an die Unterwelt, und davor keine Furcht hat - vielmehr: Die Furcht stößt nicht mehr aus der Liebe heraus. „Stark wie der Tod ist die Liebe, die Leidenschaft ist hart wie die Unterwelt.“ (Hld 8,6) Diese Liebe gibt nicht etwas, sondern sich selbst; eben das entspricht der Erfahrung des Todes.[4]

Das markiert die Stelle, wo die Ordnung gesicherter Liebe in die unaufhaltsame Suche übergeht und drohend als Unordnung wahrgenommen wird: „... laufen, überschreiten alle Grenzen und Wehre“[5].

Gott ist ahaba

ahaba tritt im Neuen Testament als agape auf und entspricht dem wohl missverständlichsten Wort, das Johannes überliefert hat: „Gott ist die Liebe.“ (1 Joh 4,9) Das hat zu dem - ursprünglich freilich keineswegs - zahmen und zähmenden Reden vom „lieben“ Gott geführt. Wie aber die Braut im Laufe des Hohenlieds aus den selbstgefälligen und selbststeigernden Hochgefühlen der dodim in die schmerzliche Liebe des Selbstverlustes wechselt, macht deutlich, dass mit agape nicht die zahnlose, wohlwollende Liebe eines weltenthobenen, ungenau verzeihenden Gottes gemeint sein kann. Die Epiphanie Gottes in agape ist vielmehr genau und konturensicher vor dem Hintergrund des Hohenliedes zu lesen. Es ist Gott, der auf die Gassen rennt und nach der Menschheit schreit und sie nicht findet.[6] Es ist Gott, der sich den Mantel der Scham herunterreißen lässt. Es ist Gott, der um den Menschen seufzt und leidet, der die Bewegung der Preisgabe vollzogen hat. Hier berührt sich paio mit amor: amare amare est, Lieben ist bitter (Ovid). Gott liebt mit einer Bitterkeit, die dem Schmerz der jungen Frau im Hohenlied gleichkommt.

Die Offenbarung Jesu zeigt nicht nur eine memoria passionis (Johann Baptist Metz), sondern mehr noch eine memoria amoris. Eindringend in dieses Gedächtnis der Liebe zeigt sich die Stelle, wo passio und amor verschwistert sind. Von daher ist eine Theologie zu befragen, die sich im Räsonieren gefällt, warum Gott sich habe erlauben können, seinen Sohn für alle „schlachten“ zu lassen, ihn als Blutopfer einzufordern und im Sinne einer Abzahlung an die Gerechtigkeit die Tropfen zu zählen, die da zu Boden fallen.[7] Dabei handelt es sich um ein grandioses Missverständnis dessen, was agape zum Ausdruck bringt. Es geht völlig gegenteilig nicht um kleinkrämerische Gerechtigkeit, die ein Schlachtopfer fordert, sondern um die Preisgabe Gottes selbst: Bitter wie nichts ist das Preisgeben des Sohnes, wie Paulus es so genau formuliert (Röm 8,32). Und dieses Weggeben bis ins Sinnlose, Maßlose und Missverständliche führt zur Verwechslung der Liebe mit Prostitution, wie bei den Wächtern im Hohenlied - eben dasselbe geschieht Gott in solcherart Anklage: dass ihm nämlich vorgehalten wird, er hätte seinen Sohn gar nicht ausliefern müssen. Unter diesem sich klug dünkenden Vorwurf ist Gott in die äußerste Verwechslung seiner Liebe eingetreten. Weil er eine Liebe gelebt hat, unter deren unverstandenen Vorzeichen man mit ihm zu rechten beginnt, ob es eigentlich so viel „Verschwendung“ gebraucht hätte.

Als Abraham seinen Sohn opferte, hielt im letzten Augenblick ein Engel den Arm des Geprüften auf. Auf Golgotha geschah keine Schonung - diesmal hing kein Widder mehr im Strauch, weder für den Vater noch für den Sohn. Diesmal wurde die Bewegung der Liebe bis zum Ende vollzogen. So dass auch der Vater sich verschwendete, gratis, aber auch frustra - umsonst und bis ins Missverständnis hinein umsonst. Dieses große Umsonst der Liebe Gottes bricht sich an einem kleinen und kleinlichen Nicht-Begreifen - während sich die Horizonte der agape ins Unausdenkliche öffnen.

Christus und die Einzig-Geliebte

 Wenig ist man gewohnt, von Gott in der Gewalt einer solchen Liebe zu denken. Auch Jesu letzte Rede rührt damit an die Grenze der Fassungskraft. Mitgerissen sind die um den Tisch Versammelten in eine unbegreifliche Strömung. Wie der Vater den Sohn liebt, so liebt der Sohn seine Freunde – was sie nicht abhält, wenig später zu fliehen. Aber die Hand Jesu ruht trotzdem auf ihnen, er hat sie erwählt. Die Rede springt Jahre, Jahrtausende voraus: Alle, die er erwählt hat, werden ihre Liebe einmal für ihn einsetzen, für andere, für die Welt. Kein Religionsstifter hat die Liebe zum Mittelpunkt seiner Lehre gemacht. Gelassenheit, ja, auch die Weisheit des Verzichts, Freundlichkeit gegen Mensch und Tier, Selbstopfer, kluger Umgang und Gerechtigkeit gegenüber anderen sind große Botschaften – aber nicht die strömende, unbesiegliche Liebe, die aus Gott selbst kommt.

In der Tat, wenig ist man gewohnt, von Gott in der Gewalt einer solchen Liebe zu denken. Aber Paulus, geschult in der Tradition des Judentums, tut es: Er verwendet das Bild der unbedingten Liebe. Er konfrontiert Christus mit einer Braut, mit seiner Einzigen. „Führt euer Leben in Liebe, wie auch Christus uns geliebt und sich für uns hingegeben hat als Gabe und Opfer, das Gott gefällt! (…) Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden und die zwei werden ein Fleisch sein. Dies ist ein tiefes Geheimnis; ich beziehe es auf Christus und die Kirche.“ (Eph 5,2.31f)

Damit ist das Urbild berührt, das seit der Genesis geprägt ist: Christus der Mann, der seine Frau liebt, mehr noch: der für sie stirbt. Solche Aussagen sind bekannt, deswegen überhört; auf ihrem Resonanzboden tönt nichts mehr. Eben das gehört zum Drama der Gegenwart, dass das Urbild nicht mehr greift. Auch deswegen, weil die „Frau“, das Gegenüber dieser Liebe, das scheinbar stumme Objekt solcher Liebe ist. Ist sie das wirklich?

In der geistigen Landschaft des Evangeliums erscheinen Frauen anders als Männer. Vor allem im Johannes-Evangelium kommt es zu großen Gesprächen, großen Gesten. Johannes überliefert höchste theologische Gespräche Jesu gerade mit Frauen: mit der Samariterin am Jakobsbrunnen, mit Martha, die ein erstes Messias-Bekenntnis ablegt. Es gibt das Staunen Jesu über die entwaffnende Demut der syro-phönizischen Mutter, die zweimalige Salbung Jesu durch stadtbekannte Frauen, die Rettung der Ehebrecherin, die weinenden Frauen Jerusalems, die ausharrenden Frauen am Kreuz selbst, Magdalenas Gespräch mit dem „Gärtner“. Sprachlich und gedanklich fast uneinholbar ist die Menschwerdung Gottes durch eine Frau. Gäbe es nur dieses eine Zeugnis für die Bedeutung der Frau, so wäre es schon übergenug.

In einigen dieser Gespräche wird der erotische Bereich gestreift, oder genauer: Frauen werden aus ihrer Verfangenheit darin gelöst. Auch hier geht der Weg von dodim zu ahaba. Was bleibt und sich entfaltet, ist höchste Hingabe, so bei dem Bericht über die Namenlose, die Jesu Füße mit Tränen wäscht und mit den Haaren abtrocknet. Das Überbordende solcher Liebe wird in Magdalena, aus der sieben Dämonen ausfuhren, am greifbarsten. Diese vielen verschiedenen Frauen, die aus Leiden, aus Sünde sich erhebenden Frauen, die heiligen Frauen um Maria, sie alle sind eingegangen in das Bild der Kirche, in das Bild einer Braut, einer überaus Geliebten.

Es könnte hilfreich für die heutige Unruhe sein: dass Kirche als „Gegenüber“ des Herrn aus dieser Lösung stammt und mit Hingabe und Gelöstheit antwortet. Der Sinn der Kirche ist bräutlich. Er ist antwortend, hingebend, weiblich. Kirche ist die Braut, die gereinigt wurde, gelöst in der Tiefe, die sich selbst dann dem Bräutigam zuführt, darauf ihre „Kinder“. Die Weiblichkeit ist der Kirche eingeprägt; von der menschlichen Seite her gesehen formiert Fruchtbarkeit ihren Charakter.

Es ist kein Widerspruch, dass Männer ebenfalls in diese Prägung gehören. Der Mann wird die Hingabe an Christus männlich vollziehen, anders als die Frau, aber immer ist der Vollzug Hingabe, immer Re-Aktion, immer „pathisch“ - was nicht heißt passiv. Pathisch ist die Antwort der Leidenschaft, des Pathos. Weswegen auch die Werke der Caritas im Christentum von Frauen und Männern übernommen werden. Es gibt keine vergleichbare Kultur, worin Männer Krankenpflege, Selbstopfer, mütterliche Zärtlichkeit leisten (letzteres eine Vorschrift für den Abt in der Benediktregel). Oder wo sie, wie Frauen, den Stand des Zölibats - keineswegs zur Weltverneinung und Ich-Löschung - sondern als bräutlichen Stand wählen.

Dieser Status wird allen Getauften zugewiesen. Sie sind Ziel der agape. Kirche verleiht in der Taufe den Status der Braut, den Status der Leidenschaft, geliebt zu werden und wieder zu lieben. Das ist kein Automatismus, sondern Vermögen und Aufgabe hineinzuwachsen.

Das ist nichts Neues, aber es scheint gut vergessen.

Zusammenspiel: Christusrepräsentanz des Priesters und der „königliche“ Mitvollzug der Laien

 Warum agieren aber Frauen dann nicht im besonderen Priestertum? Die Antwort lautet bisher: Weil Christus die spezifische Vollmacht des Dienstes an ausgewählte Männer übertragen hat, und auszeichnend an Petrus eine Letztverantwortung. Darin mag eine offene Frage bleiben: Hat Jesus das für alle Zeiten gewollt? Es ist die Frage Lessings, ob man eine ewige Seligkeit bauen kann auf ein historisches Datum.[8]

Darin ist ein Positivismus-Vorwurf enthalten. Er trifft aber genau die gedanklich herausfordernde Aussage des Christentums: Dass eine einzelne Begebenheit, ein Ereignis, und zwar nicht sachhafter Natur, sondern als Person, die Geschichte veränderte. Auch von daher ist es unrichtig, wie immer wieder zu hören, das Christentum sei eine Buchreligion; eine solche ist es nur in zweiter Linie. Nicht eine geschriebene Lehre, sondern ein Mensch bildet die Mitte des Christentums - und die Heiligen Schriften schöpfen ihrem eigenen Selbstverständnis nach das an dieser Gestalt Erfahrene nicht aus.

Unter den vielen strukturellen Gesichtspunkten, die aus dem personalen „Wesen des Christentums“ = der Person Jesu Christi folgen, ist die agonale Spannung zwischen gesetzlichem Zeitablauf und alles veränderndem Ereignis zu unterstreichen: der Einmalige, Eine wird behauptete Norm der Geschichte. Diese Dynamik, die überaus viele gedankliche Anstöße bewirkt, entspringt dem Denken einer „Zeitenfülle“.

Sie behauptet tatsächlich, dieser Eine sei der neue Maßstab alles künftigen Geschehens. Der Messianismus des Alten Testaments erwartete ein neues Gottesreich durch die Mittlerschaft eines werkzeuglichen Knechtes; vor allem die Prophetie des Jesaia hatte ihn als Löser, Friedensfürst und Befreier, aber auch als den um seines Volkes willen Zerschlagenen gezeichnet. Das Neue Testament überbietet diese Erwartung durch die These, nicht ein werkzeuglicher Mittler eines neuen Zustandes sei gekommen, sondern der Sohn selbst; das erwartete Reich Gottes sei er. Nicht im abgedroschenen Sinn wird hier der Arzt selbst die Medizin und der Bote die Botschaft.

Christentum meint Denken aus dem Ereignis: initium, zeitlicher Beginn, und principium, absoluter Anfang, fallen der Behauptung nach zusammen. Hier setzt eine Theologie der Inkarnation an, in welcher das Faktische zugleich das Normative wird, wo Wahrheit zugleich als Person auftritt, wie es das Johannesevangelium und die Patristik immer erneut unterstreichen. Die gedankliche und genauerhin philosophische Herausforderung liegt in der Konsequenz, dass die Kluft von antik gedachter göttlicher Urwirklichkeit und dem Schein des Hiesigen überwunden wird; dass die Ewigkeit Gottes in der Zeit ohne Minderung erscheint, dass die Idealität - anders als bei Platon - keine Abschattung durch die Materialität erfährt. Nur das Christentum konnte Sätze formulieren im Unterschied zum Resonanzboden der philosophischen Antike, in denen die Materie zum Angelpunkt wird: caro cardo; carne carnem liberans.

Durch die Inkarnation beginnt ein Denken aus dem Ereignis. Es verbietet die pure mythisch-zyklische, aber auch die metaphysische Systematisierung von Mensch und Geschichte und setzt ein dramatisches Verständnis beider frei. So kontert Kierkegaard die Frage Lessings mit einem „Sprung“[9]: dem Glauben, dass wirklich das überragende Eintreten Jesu in den Brennpunkt des Geschehens Mensch und Geschichte von Grund auf verändert habe. Sein Erscheinen definiert ab dato, dass seine Männlichkeit wirklich und symbolisch ist, nämlich den neuen Adam darstellt; definiert ab dato, wie Mann und Frau auf ihn hin zu lesen sind, definiert ab dato, dass seine Weisungen gültig bleiben angesichts möglicher anderer Rationalisierungen.

Indem der Priester diese realsymbolische Männlichkeit Jesu übernimmt, übernehmen die Feiernden zugleich die Auszeichnung, „ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, ein heiliger Stamm“ zu sein (1 Petr 2,9). Gerade das besondere Priestertum „erweckt“ das allgemeine Priestertum; es wird in der Messe durch Anruf, Gebet, Dienst herausgefordert, es ist sogar Ziel des ganzen Vollzugs. Der Liturge und die Gemeinde konzertieren. Anders findet kein Gottesdienst statt. Niemals ist und war nur noch der am Altar Agierende wichtig; niemals darf das königliche Priestertum der Gemeinde antwortlos geistig verstummen.

Apokalypse: Gottgeschenkte mania

 Offen wird das hochzeitliche Gegenüber in der Apokalypse: Das Neue Jerusalem steigt von oben herab, geschmückt als Braut für den Bräutigam. „Die ganze Schöpfung geht in seliger Bereitschaft Christus entgegen. Das Neue Testament spricht fast nie von diesen innigsten Dingen. Bei Paulus finden wir einige Andeutungen; auch, wenn wir genau aufmerken, bei Johannes - sonst nicht. (…) Die letzte Gestalt, unter welcher er (Christus) sich in der Apokalypse offenbart, ist diese: als Jener, dem alles Braut ist. Aus Ihm springt in Jedem der Anfang auf.“[10]

Alles Ungesagte, nicht Ausdeutbare der Agape ist darin enthalten. Männer wie Frauen werden in der Liebe Christi fähig, dieser „gottgeschenkten mania“[11] standzuhalten.

Schwer wiegt jedenfalls, dass mit einem weiblichen Priestertum die symbolische Ordnung der zwei Geschlechter außer Kraft gesetzt würde: die Repräsentation des „neuen Adam“ Christus gegenüber der „neuen Eva“ Kirche. Auch die Verbindung zum Judentum würde gekappt. Neben der Symmetrie der „Ebengeburt“ (Gen 1,28), den gemeinsamen Aufträgen und der gemeinsamen Würde erhebt sich größer und wirkmächtiger die spannungsvolle Asymmetrie von Mann und Frau, von Adam und Eva, von Christus und Schöpfung.

Es mag sein, dass dieser Gedankengang nicht überzeugt, die Begründungen dagegen sind nicht dumm. Doch gibt es eine letzte - wiederum von Jesus eingesetzte - Sicherung, im Abwägen der Argumente auf dem Weg zu bleiben, der er selbst ist: einen Hüter der Kirche, personal: Petrus als „Verschlussstein der Unterwelt“[12]. Denn keineswegs hat jeder einzelne, auch nicht ganze Gruppen, einen unmittelbar-subjektiven Zugang zur Offenbarung, sonst bedürfte es weder der Schrift noch der Kirche noch des Dogmas.

An Petrus ging der Auftrag, „zu binden und zu lösen“; fortdauernd in der Gestalt des sakralen Petrusamtes in der Kirche. Gehorsam gegenüber Petrus ist nicht notwendig Einsicht. Aber Gehorsam ist Offenheit des Geistes für das (noch) Unbegriffene. In seiner Tiefe ist er Vertrauen: Trauen auf die Treue des Bundes (den Gott geschworen hat).

Den Gehorsam aufzumachen, hilft einmal mehr ein Gedanke Guardinis: Es gebe Fragen, „bei denen zwar verstandesmäßig eingesehen werden kann, dass die Antwort so und so lauten müsse; die Antwort aber nicht „befriedet“, sondern ein Rest von Widerstand im Gemüt bleibt. Das sind jene Fragen, in denen die Ant­wort (…) zwei „Größen“ auf einen Nenner bringen müsste, die nicht auf einen Nenner zu bringen sind, nämlich Gott und Geschöpf (...) Diese Fragen sind vom Verstande her in befriedender Weise nicht zu lösen. Für sie liegt die Lösung in der Demut, im Vertrauen des Glaubens, und in der Hoffnung auf das Licht der Ewigkeit.“[13]

Wären Frauen ihrer selbst gewiss und wäre Anthropologie entfaltet auch in bisher vernachlässigte Tiefen - so zum Thema „Leib“ -, dann wäre ihre Selbstachtung groß genug, um sich nicht das besondere Priestertum gegen den biblischen Bericht zu erkämpfen. Ihre Verankerung im allgemeinen und königlichen Priestertum basiert nicht auf Eigeneinschätzung und eingeklagter Anerkennung, sondern auf dem wunderbar freien Umgang Jesu mit Frauen - und auf der unerschöpflichen Auszeichnung seiner Kirche als hochzeitlich Geliebte.

Vive la différence! So sieht spannende christliche Kultur aus, wenn sie den Horizont göttlicher Agape berührt.

 

__________

[1] Hier kann man sich deutlich mehr Entfaltung wünschen, so in der Verkündigung: Sprechen von Gott in gemeinsamen, gerade auch häuslichen Feiern; Sprechen von Gott in den Medien, überhaupt in Medienberufen / Journalistik; Sprechen von Gott in Schulen und Hochschulen; Arbeit an der entgleisenden Sexualpädagogik; Neugestaltung und Erhellung der verschütteten Ehelehre; Ablösung von Gender durch eine wissenschaftlich breit fundierte Anthropologie der Geschlechter; Verteidigung des menschlichen Lebens in allen Stadien; Entfaltung aber ebenso in Rat und Entscheidung in kirchlichen Gremien.

[2] Vgl. die differenzierte Stellungnahme der Kongregation für die Glaubenslehre „Zur Frage der Zulassung der Frauen zum Priesteramt“ vom 15.10.1976 und „Über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt“ vom 31.07.2004.

[3] A. Haldar, Artikel ahab, in: ThWAT I, 108.

[4] Vgl. Platon, Symposion, 201d-212c.

[5] Johannes vom Kreuz (1542-1591), Geistlicher Gesang, 3.

[6] Bernhard von Clairvaux, Commentaria in Cantica Canticorum, in: Sämtliche Werke. Lat./dt. Hg. v. G. H. Winkler, Innsbruck 1994.

[7] Beispielhaft steht dagegen Leo der Große (+461), Sermo 17 de passione Domini 1-2: „Darum war es der Wille des Vaters und sein eigener Wille, dass der Herr dem Leiden überlassen wurde. So verließ ihn nicht nur der Vater, sondern er verließ sich sozusagen auch selbst. Da war keine erschreckte Seele, die mit Gewalt weggerissen wurde, sondern eine Seele, die in Freiheit verzichtete.“

[8] Ähnlich Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena II. Über Religion, § 182, in: ders., SW VI, Wiesbaden 1947, 418: „Eine Religion, die zu ihrem Fundament eine einzelne Begebenheit hat, ja aus dieser, die sich da und da, dann und dann zugetragen, den Wendepunkt der Welt und allen Daseyns machen will, hat ein so schwaches Fundament, daß sie unmöglich bestehen kann, sobald einiges Nachdenken unter die Leute gekommen.“

[9] Sören Kierkegaard, Philosophische Briefe, in: ders., Antwort auf Lessing, SW XIII, Leipzig 1897, 6.

[10] Romano Guardini, Der Herr. Betrachtungen über die Person und das Leben Jesu Christi, Würzburg 31940, 679 f.

[11] Vgl. Josef Pieper, Begeisterung und göttlicher Wahnsinn. Über den platonischen Dialog „Phaidros“, München 1962, 81f.

[12] Leo Scheffczyk, Das Unwandelbare im Petrusamt, Berlin 1971: „Mit der Bezeichnung des Petrus als „Felsengrund“ der Gemeinde und des Gottesvolkes wurde das jüdische Symbol vom kosmischen Felsen auf Petrus übertragen. Das Wort erinnerte den Juden an den Fels in Jerusalem, der den Tempel und das Allerheiligste trug. Dieser Fels galt dem Israeliten als der Stuhl und der Thronsitz Gottes, als Zentrum und Grundstein der Welt, aber auch als Verschlußstein der Unterwelt, der das Emporkommen der Todesmächte unterband. Mit diesem Wort wurde nach der jüdischen Symbolsprache dem Petrus also die Stellung des kosmischen Felsens zugesprochen, die nach einer anderen alttestamentlichen Überlieferung (Jes 28) dem Messias selbst zukommt. Damit wurde ihm eine Aufgabe übertragen, die nichts Geringeres als eine Fortsetzung des Werkes des Messias selbst beinhaltete.“

[13] Brief Guardinis an Eva Marcks vom 16.03.1964, Nachlass Ana 342, Bayer. Staatsbibl. München.


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